Schritt für Schritt

18/03/2019

Im Kleinen Rahmen des Chen Taijiquan gibt es eine Lehrmethodik die in fünf Stufen unterteilt wird. Die erste Stufe beinhaltet das Erlernen der einzelnen Bewegungsbilder der Form, die Grundlagen des Taijiquan werden gelernt und verinnerlicht. Der äußere Rahmen wird geschaffen, dieser ist das Gerüst um in das nächst höhere Trainingslevel zu gelangen. 

Wenn dieses Gerüst steht kann das Training der zweiten Stufe beginnen, das Erlernen der inneren Bewegung (neijin) [1]. Man lernt wie man "jin" in seinem Körper herstellen und benutzen kann, außerdem übt man das "jin" im Körper eines anderen zu verstehen (tinjin).
In der dritten Stufe lernt man verstärkt das "Yi" (die Aufmerksamkeit) so einzusetzen, so dass das "Qi" den Körper bewegt. Beherrscht man dies ist man in der Lage unterschiedliche "jin" Formen zu entwickeln z. B. das jin auszustoßen (fajin). In dieser Stufe werden die inneren und äußeren Bewegungen zunehmen komplexer.
In der vierten Stufe werden die inneren und äußeren Bewegungen immer weiter verkleinert, die Segmente mit denen das "jin" im Körper übertragen wird vermehren und verfeinern sich bis ins Unendliche, die äußere Bewegungen erscheint dadurch geradliniger, doch in Wirklichkeit sind die inneren Spiralbewegungen und Kreise die man ausführt nur sehr viel kleiner und kaum sichtbar.
In der fünften Stufe wird die Form frei, es gibt keine Form mehr, hier wird alles in einem durch das Taijiquan durchdrungen, sie ist die höchste Stufe des Taijiquan, wobei sie aber kein Ende des Lernens darstellt denn die Verfeinerung des eigenen Taijiquan-Verständnisses kennt kein Limit.

Als Taijiquan-Praktizierender kann man das Training der jeweils nächst höheren Stufe erst dann beginnen wenn man im Körper die dazu nötigen Grundlagen etabliert hat.

Für den Übergang aus der ersten in die zweite Stufe heißt das, dass hierzu zuerst das dafür benötigte Fundament geschaffen werden muss, welches einen in die Lage versetzt den hohen Anforderungen der zweiten Stufe gewachsen zu sein.

Ein Prozess der viele Jahre in Anspruch nehmen kann. Ein überspringen einzelner Stufen um schneller voran zu kommen ist nicht möglich, wohingegen das Training der Grundlagen stets wichtig ist, und man einfachere Elemente aus den unteren Stufen immer wieder in das Training eingebaut, auch wenn man sich bereits in einer der höheren Stufen des Lernens befindet. So findet bei den eigenen Grundlagen eine stetige Überprüfung und Verbesserung statt. 

Für die persönliche Gesamtentwicklung im Taijiquan genügt es bei uns eine einzige Form zu lernen, die traditionelle Chen Xiaojia Yilu (erste Form). Der Inhalt der in der Form unterrichtet wird, wird dem jeweiligen Entwicklungsstand des Schülers angepasst, von einfach aber strikt strukturiert, bis hin zu hoch komplex. In diesem Prozess wird die Yilu zur sogenannten Gongfujia.

In manchen Schulen beobachtet man dass die Schüler dazu angehalten werden viele verschiedene Formen zu lernen um z. B. Duan Prüfungen zu absolvieren, für die eigene Entwicklung ist dies meiner persönlichen Ansicht nach eher von Nachteil, da viel Zeit für das Erlernen immer neuer Choreographien aufgewendet wird die besser in das Etablieren der Grundlagen gesteckt werden könnte. Als Ausnahme sehe ich hier allerdings das Üben der innovativen und kurzen Sizheng Taijiquan Form von Meister Chen Peishan, die mit ihrem spezifischen Trainingsinhalt keine bloße zusätzliche Choreographie darstellt, sondern einen wohldurchdachten Mehrwert für das eigene Weiterkommen beinhaltet. 

In der dritten Stufe kann zudem noch mit dem Training der Paochui/Kanonenfaust (Erlu, zweite Form) begonnen werden, hier werden das Ausstoßen von jin (fajin) und Sprünge stärker betont, aber zwingend notwendig für die eigene Entwicklung ist das Erlernen dieser Form nicht.

Mit einem Paochui Training zu beginnen bevor man im Körper die notwendigen Voraussetzungen dafür etabliert hat, das heißt bevor man in der Lage ist "jin" im Körper herzustellen, ist nicht sinnvoll. Die Form wird in so einem Fall nur als äußere Choreographie geübt. 

Endnote
[1] Eine genauere Erklärung für "jin" gibt Meister Chen Peishan in einem Interview in Heft Nr. 5 von cultura martialis: